Eine muslimische Frau spricht retrospektiv über ihr muslimisches Erscheinungsbild während ihrer Schulzeit in Marburg. Dabei schildert sie ein Ereignis, das von der asymmetrischen Machtbeziehung zwischen ihr und ihrem Lehrer durchdrungen ist.

„In der Schule natürlich verbringt man eine Menge Zeit. Da gibt es ganz unterschiedliche Erfahrungen. Also es gab sehr viele Leute, die dich mit der Zeit kennenlernen und die dann auch aufgeschlossener sind und die nicht die großen Vorbehalte haben. Was mich aber einmal irritiert hat, obwohl ich ja schon lange mein Kopftuch getragen habe und meine Lehrer und Mitschüler mich auch so kennen… Aber eine Situation ist mir da ziemlich genau in Erinnerung geblieben, das sich wirklich auch auf mein Muslimischsein fokussiert hat. Es war im Kunstunterricht gewesen. Ich glaube in der achten Klasse. Und da hatte ein Mitschüler von mir eine Mütze oder eine Kappe auf. Da kam der Lehrer in die Klasse und hat zu diesem Schüler gesagt, dass er seine Kappe ausziehen solle bzw. seine Mütze.

Da hat er gesagt: Warum muss ich das ausziehen? Das muslimische Mädchen (hier hat der Mitschüler den Namen des muslimischen Mädchens genannt) darf doch auch ihr Kopftuch anbehalten!

Da hat der Lehrer zu ihm gesagt: Ich würde es ihr am liebsten sagen, dass sie ihr Kopftuch ausziehen soll, aber ich darf es nicht.“

entstummt: Werden bestimmte Emotionen dadurch hervorgerufen?

„Ja, es war Ärger. Ich denke, als die Situation vorgefallen ist, habe ich mich sehr geärgert. Und das hat, glaube ich, niemand so wahrgenommen, dass es mich so aufgeregt hat. Und ich habe mich dann auch nicht mehr sehr an diesem Unterricht beteiligt in diesem Fach. Weil ich finde, der Lehrer hat ja eine Vorbildfunktion gehabt. Das kam dann auch bei der Notenbesprechung zur Sprache, dass ich mich in den letzten Wochen gar nicht mehr so beteiligt habe und dann habe ich ihm auch gesagt, dass ich es nicht notwendig finde, mich an seinem Unterricht zu beteiligen, wenn er solche Kommentare fallen lässt. Dann hat er es abgestritten. Und das war für mich der Punkt, da habe ich zum ersten Mal in der Schule geweint. Weil er es einfach abgestritten hat. […] Das ist die einzige Situation, in der ich mich so aufgeregt habe, dass ich in der Schule geweint habe. Und das ist mir deswegen im Gedächtnis geblieben, weil es für mich wirklich emotional sehr aufwühlend war.“

entstummt: Hast du dich hilflos gefühlt?

„Ja, natürlich! Es ist einem in der Situation nicht so bewusst, aber eigentlich ist man ja total abhängig vom Lehrer, weil der Lehrer gibt ja die Noten und er kann eigentlich sozusagen seine Macht demonstrieren, indem er dich schlecht bewertet oder gut bewertet. Und du hast eigentlich keine Handhabe, weil es ist ja nur der Lehrer da gewesen und die Klasse. Aber die Klasse hat sich nicht dazu geäußert. […] Ich hätte es gerne nachfolgenden Mitschülerinnen erspart. Also dass Lehrer auch ein bisschen Sensibilität haben… nur weil sie jetzt vielleicht keine Konfession haben, einen Glauben haben. Aber andere deswegen zu kritisieren… Oder das irgendwie negativ darzustellen, finde ich, gehört nicht in den Unterricht. Also da hat der Lehrer sich nicht einzumischen, wie sich ein Mädchen kleidet oder wie sich ein Junge kleidet.“

entstummt: Was hätte dir konkret geholfen?

„Vielleicht ein Ansprechpartner. Ich denke, es hätte vielleicht nicht konkret geholfen. Einfach zu sagen, dass man sich eine dritte Person zur Hilfe holt. Oder jemanden, der die Situation dann aufklärt. Im Endeffekt ist es ja nur Schüler und Lehrer und das ist ja, sage ich mal, eine asymmetrische Beziehung. Und ich finde auch, als Jugendlicher ist man ja einer erwachsenen Person gegenübergestellt. Man hat auch nicht so die Ausdrucksmöglichkeiten als Jugendlicher. Und natürlich war ich auch emotional aufgewühlt. Eine Vertrauenslehrkraft wäre vielleicht eine gute Idee gewesen, aber ich wollte es nicht weiter hochschaukeln. […]

Ich finde es einfach wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hilfsangebote gibt. Weil wenn muslimische Frauen gerade oder auch Jugendliche Situationen erleben, denke ich, sie sind sich nicht bewusst, dass sie sich Hilfe holen können und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, auch Werbung für die Hilfe zu machen. Damit man einfach weiß, dass man nicht allein mit der Situation ist. Besonders in Situationen, wo beispielsweise Erwachsene Jugendlichen gegenübergestellt sind und die ja auch eine gewisse Machtposition haben, indem sie beispielsweise bewerten müssen. Dass man auch die Lehrkräfte oder diese Personen sensibilisiert, dass sie auch auf ihre Vorbildfunktion achten müssen! Dass sie da auch neutral bleiben sollen gegenüber allen Religionen.“

Der Einfluss von anti-muslimischen Rassismuserfahrungen prägt die Bildungs- und Lebensbiografien muslimischer Menschen. Deshalb ist es unerlässlich, insbesondere pädagogische Fachkräfte diskriminierungssensibel zu schulen, damit Vielfalt und Respekt Einzug in die Klassenräume findet!